Ein Toast auf die Weiße Dame

Nov 24 2022
Beim Zuziehen des Vorhangs wird er in fahles Licht getaucht. Er erhebt ein Glas auf die weiße Dame.

Beim Zuziehen des Vorhangs wird er in fahles Licht getaucht. Er erhebt ein Glas auf die weiße Dame.

Ein Toast. Er sagt. Ein Toast auf Sie, schöne Dame.

Ein erhobenes Glas. Ein Klirren an der Fensterscheibe. Unten in einem. Ein Zucken.

Er starrt in den Nachthimmel. Es wirbelt. Eine leichte Brise kommt durch. Der Geruch von Lavendel. Er starrt. Er scheint etwas nicht ganz da zu sehen. Ein Bild. Eine Erinnerung.

Dann reibt er sich mit einem Ruck die Augen. Einmal zweimal. Reibt sich die Nase. Er schenkt ein weiteres ein.

Ein Toast. Er sagt. Begleiten Sie mich, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Ein Toast.

Wozu ?

Bis morgen. Möge es mit lebhafter Leidenschaft auf uns zukommen.

Bis gestern .

Er lacht. Warum nicht? Ein Toast auf gestern. Möge es tot im Boden liegen.

Ein erhobenes Glas. Er wartet darauf, dass die Dame ihren aufzieht. Ein Klirren an der Fensterscheibe. Er holt tief Luft. Er atmet aus, während er die braune Flüssigkeit auf seine Kehle gießt. Unten in einem. Ein Zucken.

Er schüttelt verzweifelt den Kopf. Krämpfe und Drehungen mit einem Keuchen. Er blickt zurück auf die Aussicht. Schön, sagt er. So ruhig, sagt er. Ich hasse es, sagt er. Er zeichnet die Sternbilder, obwohl er sich nicht daran erinnert, was sie waren. Vielmehr zeichnet er Formen aus dem verdrehten Licht, das in seiner verschwommenen Sicht gefangen ist. Das könnte ein Pendel sein. Er denkt. Das könnte eine Axt sein. Er denkt. Das … was auch immer. Egal.

Nichts tut .

Er blickt nach unten.

Ein Toast. Er schenkt einen weiteren Drink ein. Er blickt zurück zu der weißen Dame. Ein Toast.

Worauf wirst du jetzt trinken ?

An Feinde. An meine aufrichtigsten Feinde und Liebhaber.

An Freunde .

Er lacht.

Zu Freunden. Wo auch immer sie sein mögen.

Ein Klirren an der Fensterscheibe. Er hustet, als der Whiskey seine Speiseröhre trifft. Aber er schafft es trotzdem. Unten in einem.

Mit seinem kleinen Finger zeichnet er die Umrisse des fernen Baumes. Er klettert mit kleinen Sprüngen auf seine Rinde und rutscht mit einem spielerischen Schnippen nach unten. Er sieht zu, wie es sich biegt, während ein weiterer Windstoß durch das Fenster heult. Er nimmt das kalte Biest auf. Erlaubt ihm, ihn mit ausgestrecktem Arm zu umgeben. Ringt damit, während es sein Haar zurückbläst, seine Nebenhöhlen gefriert und ihm Tränen in die Augen treibt. Er trägt den Wind. Er bleibt in dieser Position, lange nachdem der Wind nachgelassen hat. Arme ausgestreckt. Hände suchen. Zurückkehren.

Mit einem Ruck.

Verzeihen Sie mir meine Dame. Er sagt. Da habe ich mich hinreißen lassen. Egal.

Nichts tut .

Er wischt sich eine Träne aus dem Auge.

Ein Toast. Er sagt. Seine Stimme ist leise. Ein Toast auf die Hoffnung. Was verloren ist, kann gefunden werden.

Zu Träumen .

Er lacht. Ein anerkennendes Nicken. Zu Träumen und Alpträumen. Mögen sie immer von mutwilligen Gedanken ablenken.

Seine Hand zittert. Zwei Klirren an der Fensterscheibe. Erst als das Glas an seinen Lippen steht, merkt er, dass es noch leer ist.

Entschuldigung, meine Dame. Ich bin vielleicht ein bisschen beschwipst.

Ein Guss.

Er stählt sich. Feierlich hebt er sein Glas. Es fängt das Licht wie ein Diamant ein und zeigt kurz eine Unsicherheit in seinen Augen.

Zu Träumen?

Zu Träumen.

Ein Klirren an der Fensterscheibe. Er nimmt einen Schluck. Er zuckt zusammen.

Ein Wechsel. In seinem Blick liegt plötzlich eine alkoholische Klarheit. Die Dunkelheit ist ein tieferer Schatten. Die Sterne eine hellere Farbe. Und davor die Dame in Weiß. Sie streckt ihm eine Hand entgegen, damit er sich zu ihr gesellt.

In eine Benommenheit gebannt. Er spiegelt. Arm ausgestreckt. Er erhascht einen Blick auf ein Loch in seinem zerrissenen Ärmel. Er zieht seinen Arm zurück. Legt seine Hand auf das Getränk.

Verzeihen Sie mir, liebe Dame. Ich fürchte, ich bin nicht gut genug gekleidet, um mich Ihnen anzuschließen. Oder wenn ich … bin ich nicht bereit. Außerdem heute Nacht … heute Nacht. Ich warte auf die Morgendämmerung. Während die meisten sich dafür entscheiden, dies im Schlaf zu tun, werde ich dies im Wachzustand tun.

Noch ein Schluck. Ein Zucken.

Es steht Ihnen mehr als frei, sich mir beim Warten anzuschließen.

Ein Toast. Zu warten .

Zu warten?

Natürlich. Auf der anderen Seite eines guten Wartens steht ein besseres Leben. Einer ohne Angst oder Kampf. Eines, wo Trinken unnötig ist .

Wo Trinken unnötig ist? Was für eine entsetzliche Vorstellung.

Ein Klirren an der Fensterscheibe. Noch ein Schluck. Ein Zucken.

Aber fürs Erste… Fürs Erste! Wir müssen in unseren gegenwärtigen Höllen verrotten. Wir müssen trinken, bis wir aufwachen.

Ein Toast auf das Warten .

Ein Toast auf das Vergessen… Alles Gute, alles Schlechte.

Zu stauben .

Ein Klirren an der Fensterscheibe. Er trinkt das Getränk. Ein Zucken.

Er wird jetzt ruhig. Er starrt nach unten. An einem Eisenzaun, der sich um sein Gebäude schlängelt. An einem angeleinten Hund, der unten döst. An den ungepflegten Hecken und weitläufigen Rasenflächen. Er schaut. Er überlegt.

Er erschaudert bei einem Gedanken.

Du weinst .

Ich bin? In der Tat bin ich. Leisten Sie mir Gesellschaft, liebe Dame. Nachts ist es schrecklich einsam. Lass uns reden. Sprechen Sie über alles.

In seinen Augen blitzt Wahnsinn auf, als er das sagt. Sein Kopf wippt mit hektischer Energie. Seine Arme schlagen um sich, als suchten sie nach etwas, woran sie sich festhalten könnten.

Sprechen Sie über Terror. Exploits! Gewagte Taten! Lass uns reden. Bitte. Bleibe. Lass uns reden. Ich habe das Flüstern der Schlange gehört. Ich habe die verbotene Frucht gekostet. Dieser süße Nektar. Jetzt… Meine Hände legen sich um diese kalten Stahlstangen meines Geistes. Konversation. Nur Konversation! Kann den Fluss der Erinnerungen an dieses ätherische Paradies unterdrücken. Lass uns reden und fröhlich sein. Halte dein Schweigen und ich werde im Elend ertrinken. Sprechen…

Sie verlässt.

Er schweigt. Er sieht zu, wie sich die Sterne langsam hinter dem triefenden grauen Vorhang auflösen. Er spürt, wie der Wind nachlässt. Er fühlt, wie die Welt schläft. Er holt Luft. Ein Seufzer.

Er spürt, wie eine Träne über seine Wange läuft. Genießt die Kühle der zurückgelassenen Haut. Schmeckt die Salzigkeit auf seiner Zunge. Und ein anderer. Und ein anderer. Und ein anderer. Seine Sicht ist jetzt verschwommen. Seine Sicht ist erfüllt von wirbelnden Schwarz- und Brauntönen. Auf seinem Arm ist Gänsehaut. Ihm ist kalt.

Er seufzt.

Er schaltet sich auf Hochtouren. Er nimmt einen hohen, schrumpeligen Ton an.

Was haben wir denn hier Liebes? Du siehst nicht gut aus. Lass mich deine Stirn fühlen... Lass mich auf dein Herz hören... Ich sehe das Problem. Keine Sorgen machen. Häufige Krankheit. Wir sehen es die ganze Zeit .

Mit einer schwungvollen Bewegung kommt eine braune Medizinflasche zum Vorschein.

Ein Heilmittel . Er sagt. Ein Mittel gegen den Schmerz. Eine Lösung für alle Probleme .

Er gießt. Er hebt das Glas.

Ein Toast auf das Leben.

Ein Toast auf den Tod.

Ein weiterer Seufzer.

Er trinkt nicht. Mit einem Klirren stellt er es weit weg auf die Ecke der Fensterscheibe. Ein weiterer Seufzer. Er wartet. Mit Tränen, die wie Regen klingen, legt er seinen Kopf auf seine Arme. Er zittert – heftig. Er ballt eine Faust in seinen Haaren – heftig. Zieht, bis er das Ziehen spürt. Bis er den Schmerz spürt. Er öffnet seine Faust und ballt sich wieder. Zieht erneut – Beharrlich, schrittweises Drehen der Wählscheibe auf die Stärke. Er bindet sich an das Land des Erwachens. Er stöhnt vor schwachem Leben. Er hält die Stelle. Das weiße, heiße, schießende Gefühl spüren, wenn seine Kopfhaut an allen Nähten reißt. Seine Adern platzen. Er kann das Blut in diesem gleichmäßigen, kleinen, ermüdenden Tempo fließen hören. Badum-badum-badum… Und die ganze Zeit zittert, stöhnt und keucht er. Er bleibt so stehen und wartet… Sein Herz pocht in seinen Ohren. Badum-badum-badum…

Seine Augen werden müde. Kopf auf seinen Armen. Er entspannt sich.

Eine letzte glitzernde Träne schießt über seine Wange.

Mit blassrosa Trieben und orangefarbenem Schein kommt der Sonnenaufgang.

Ein anderer Tag.